Weiter geht es auf dem EV3, der direkt am Campingplatz vorbei läuft. Nach der Erfahrung auf der Bahntrasse am Vortag halte ich mich jetzt nicht mehr an meinen vorbereiteten GPX-Track, sondern folge den EV3-Wegweisern. Am Ortseingang von L’Isle-Jourdain stoße ich auf einen belgischen Radreisenden, der offensichtlich entnervt auf sein Navi schaut. Er folgt dem EV3, so wie ihn seine Komoot-App anzeigt, findet aber nicht den dort angezeigten Weg. Ich rate ihm, doch lieber den Wegweisern zu folgen. Leider ist aber an der nächsten größeren Kreuzung kein solcher zu sehen. Nach einigem Suchen finde ich den Weg aber und mache gleich danach eine Kaffeepause in einem Café im Ort.Am Wegrand stehen immer wieder Wanderwegweiser mit der Aufschrift “Oc et Oil”, ein Hinweis darauf, dass wir hier im Übergangsgebiet von der Langue d’Oil zur Langue d’Oc sind. Das ist ein schmaler Streifen, der sich von Angoulême über La Souterraine bis nach Vichy erstreckt und der wegen seiner Form Le Croissant genant wird.In der kleinen Stadt Availles-Limouzine mache ich Mittagspause in einem kleinen Bistrot. Auffallend ist, dass sowohl die Betreiberin als 90% der Gäste englisch sprechen. Offenbar bin ich hier wieder mal in einer Gegend, die bei Briten besonders beliebt ist.
Die Landschaft wird jetzt zunehmend hügeliger, man ahnt, dass die nördlichen Ausläufer des Zentralmassivs nicht mehr weit sind.In Confolens baue ich mein Zelt auf dem Campingplatz am Ortseingang auf, nehme eine Dusche und ruhe mich ein wenig aus. Danach fahre ich eine Runde durch die kleine Stadt und anschließend zu dem Supermarkt auf der anderen Seite der Vienne, den mir mein Navi anzeigt. Dieser ist aber offensichtlich schon seit längerem geschlossen und so mache ich mich auf den Weg zu dem Intermarché, den das Navi auch noch kennt. Ich fahre auf dem Radweg auf der linken Straßenseite und als dieser endet, wechsele ich auf den Weg auf der rechten Straßenseite. Dabei übersehe ich den Randstein, knalle mit dem Vorderrad schräg auf diesen und lande voll mit der rechten Körperseite auf dem Asphalt, halb auf der Straße, halb auf dem Radweg. Es schmerzt heftig, aber ich kann aufstehen und weiterfahren. Dass das nicht nur ein paar Kratzer sind, wird mir schnell klar. Was tun? Ich entscheide mich, erst mal zum Campingplatz zu fahren.
Unterwegs sehe ich einen Wegweiser Hôpital. In diesem kleinen Nest mit nur 2.500 Einwohnern habe ich eigentlich kein Krankenhaus erwartet. Ich folge den Wegweisern, es geht bergauf und nach etwa einem Kilometer komme ich an. Ich stelle mein Rad vor dem modernen Gebäude ab und humpele zur Anmeldung. Man schickt mich weiter zur Notaufnahme, Verdacht auf Oberschenkelhalsbruch, Radiographie, Verdacht bestätigt, OP am nächsten Tag in Saint-Junien, meinem nächsten geplanten Etappenort, da keine OPs in Confolens.
Alles macht einen sehr professionellen und vertrauenswürdigen Eindruck. Das Personal ist freundlich und hilfsbereit. Mein Fahrrad wird über Nacht in einem Abstellraum untergebracht. Ich sorge dafür, dass der Campingplatzbetreiber informiert wird. Am nächsten Morgen holt er das Fahrrad ab und bringt mir meine Packtaschen, in denen sich alles Notwendige befindet.
Danach Überführung nach Saint-Junien, nochmals Durchlauf der Notaufnahme, Operation am Nachmittag, Knochen mit zwei Schrauben fixiert. Auch hier freundliches und offensichtlich kompetentes Personal, entspannte Atmosphäre. Es ist Freitag vor Pfingsten, am Dienstag soll ich entlassen werden. Kontakt mit der Auslandskrankenversicherung wegen Rückführung, Rückführung am Dienstag ok. Dienstag um Acht stehen zwei Tiroler im Zimmer, um mich abzuholen. Zwölf Stunden später Notaufnahme in der Uniklinik Ulm. Mittwoch Nachmittag werde ich entlassen.
Sechs Wochen keine Belastung des reparierten Beins, mühsame Fortbewegung mit Krücken. Zwei Monate nach der OP kann ich mich wieder nahezu uneingeschränkt bewegen und fahre zum ersten mal wieder Fahrrad, eine Woche später die erste Tour mit 40km, aber vorläufig keine größeren Steigungen.
Etwas schwierig aber letztlich machbar erwies sich der Rücktransport des Fahrrads und der Campingausrüstung. Mehr dazu in diesem Blog-Eintrag